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Die eisige Nacht war vorbei. Die Zimmertemperaturen waren deutlich unter 10 Grad Celsius gerutscht. Obwohl wir zum Schlafen alle greifbaren Kleidungsstücke angezogen hatten, waren wir total durchfroren. Ein heißer Tee weckte die vereisten Lebensgeister unserer kleinen Reisegruppe mit dem Teppichkaufmann Thomas Michel aus Wiesbaden, einem seiner Freunde sowie heimtex-Chefredakteur Hans-Jürgen Hömske und seine Ehefrau Christine. Wir waren jetzt sieben Tage unterwegs, hatten Peking und die Umgebung gesehen, hatten Urumqi, der Hauptstadt der autonomen Region Xinjiang Uygur, einen Besuch abgestattet und waren weiter gereist nach Kashgar, einem berühmten Handelsplatz der Uiguren, ganz im Nordwesten des riesigen chinesischen Reiches. Von dort sollte es mit dem Jeep durch das Pamir Gebirge weiter gehen nach Tashkurgan, auch Taxkorgan genannt, der einzigen chinesischen Stadt im Pamir Gebirge und Ausgangspunkt zur Fahrt auf dem Kharakorum Highway nach Pakistan. Doch mitten im Pamir gab der Jeep seinen Geist auf und wir waren gezwungen in einer zwar modernen, aber unterkühlten Raststätte in etwa 3 500 m Höhe zu übernachten. (Siehe auch Reiseberichte in heimtex Nr.11/01, Nr.12/01 und Nr. 01/02).
Hochmoderne Rastanlage im Pamir Gebirge auf 3500 m Höhe mit einem gut bestückten Restaurant, aber ziemlich unterkühlten Unterkünften.
Doch die Berggötter hatten es gut mit uns gemeint. Aber es kann auch das Leistungsvermögen unseres uigurischen Reiseleiters und seiner chinesischen Reiseorganisation gewesen sein, die es geschafft hatten, statt des reparaturbedürftigen modernen westlichen Jeeps einen klapprigen, aber fahrbereiten Kleinbus über Nacht durch die Berge zu unserer hoch gelegenen Raststätte zu bringen. Unser neuer Fahrer versuchte mit dem Gaspedal die am Vortag verlorenen Reisestunden aufzuholen. Die Straße war teilweise in einem erbärmlichen Zustand und uns wurden sämtliche Knochen durcheinander geschüttelt. Selbst die Yaks am Wegesrand staunten über den Geschwindigkeitsrausch unseres Rallyepiloten. Immerhin erreichten wir innerhalb weniger Stunden lebendig Tashkurgan. Nur ein Reifen des Busses hat den Fahrstil und die Straßenverhältnisse nicht überlebt. Tashkurgan selbst entpuppte sich als recht langweiliges Provinznest.
Da war die Landschaft in unserem eisigen Höhendomizil schon beeindruckender gewesen. Eine alte Festungsruine, deren ehemalige Bedeutung lediglich aus der Höhe der verbliebenen Stein- und Schotterhaufen ablesbar war, war die einzige erkennbare Sehenswürdigkeit, abgesehen von der chinesischen Zoll- und Pass-Station. Alle Reisenden, die vom chinesischen Tashkurgan weiter nach Pakistan wollen, haben hier Halt zu machen. Unser Bus musste restlos ausgeräumt werden. Jedes Gepäck- und Kleidungsstück musste in die Zollstation gebracht werden, bevor der Bus von den chinesischen Beamten einer eingehenden Prüfung unterzogen wurde.
Wir vier Europäer mit normalen Reisegepäck hatten noch Glück. Aber Fahrer von Kleinlastern mussten jeden Ballen ihrer Ladung einzeln durch die Zollabfertigung schleppen. Die chinesischen Uniformierten sahen der Schufterei freundlich, aber wenig hilfsbereit zu. Irgendwie gelang es uns, eine Schneise durch das Gewirr von Handelsware und Privatgepäck zu schlagen. Reisende und Beamte, offensichtlich schon an europäische Ungeduld gewöhnt, ließen uns den Vortritt. Nachdem unsere Pässe drei bis vier Mal überprüft worden waren, durften wir wieder in unseren Bus einsteigen. Unser mühsam geschlepptes Reisegepäck und sein Inhalt wurden keines Blickes gewürdigt. Vorbei an einem salutierenden Grenzsoldaten ging es aus dem Zollhof raus und wieder auf den Kharakorum Highway in Richtung Pakistan. Nachdem wir die steile Abfahrt nach Tashkurgan glücklich hinter uns gebracht hatten, führte die Straße jetzt ebenso steil wieder bergauf. Allerdings konnte unser Fahrer bei dem Anstieg nicht die gleiche Geschwindigkeit erreichen wie bei der Talfahrt, so dass viel Zeit blieb, die atemberaubende Gebirgslandschaft zu bewundern. Auch war der Highway gut ausgebaut, so dass sich die Heerscharen von einer Art etwas zu groß geratener Murmeltiere, die auf den Steinen recht und links der Straße ihr Sonnenbad nahmen, nicht aus der Ruhe bringen ließen. Weite Hochebenen wechselten mit steilen Gebirgswänden. Jede Kurve brachte ein neues, überraschendes Panorama. Nach etwa 20 km kam wieder eine chinesische Grenzkontrolle. Noch einmal mussten die Pässe abgegeben und kontrolliert werden. Ein Offizier warf einen kurzen Blick in unseren Bus, zählte die vier deutschen Passagiere ab und gab das Zeichen zur Weiterfahrt, nachdem er uns einen bewaffneten Soldaten als Begleiter zugeteilt hatte. Der hatte jetzt bis zum endgültigen Grenzübergang die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir keinerlei Spionagetätigkeit betrieben oder andere Dummheiten anstellten. Vor allem war es verboten, auf dieser letzten chinesischen Strecke zu stoppen, auszusteigen und zu fotografieren. Wir taten es trotzdem mit Einwilligung unseres Begleiters, denn auf die hier gebotenen Landschaftsbilder wollte keiner verzichten. Vor allem als Thomas Michel sein Wunschmotiv entdeckte, gab es kein Halten mehr. Er hatte sich vorgenommen, eine Nomadenfamilie mit Tieren und Jurte im Bild fest zu halten und als Postkarte werbewirksam an seine Kunden zu verschicken.
Auf etwa 4500 m Höhe entdeckten wir genau die richtige Szenerie: Tadschiken in Landestracht vor ihren aufgebauten Jurten beim Herstellen von Filzen. Dazwischen ihre Schafe und im Hintergrund schneebedeckte Gebirgsriesen. Es war auch für mich als sicherlich nicht ganz unerfahrenen Journalisten ein ganz neues Erlebnis, in knapp 4500 m Höhe unter Zeitdruck ein Foto-Shooting zu veranstalten. Die Luft wird schon etwas eng, wenn erst ein leichter Abhang zu bewältigen ist, ein weitgereist blickender Thomas Michel stilgerecht zwischen den sehr freundlichen und fotowilligen Nomaden platziert und die Berge in das rechte Licht gerückt werden müssen. Leichte Atemnot tritt vor allem bei einem Raucher ein, wenn er im Eiltempo, den mahnenden Blick des Soldaten vor Augen, wieder zurück zum Bus den Abhang bewältigen muss und selbst noch ein Erinnerungsfoto schießen will. Der Khunjerab Pass selbst, mit 4730 m der höchste internationale Grenzübergang der Welt, erwies sich dann als recht harmlos. Dort standen chinesische und pakistanische Grenzer friedlich vereint eher als Staffage für das obligatorische Bergbezwinger-Foto herum. Die Temperaturen waren angenehm mild. Nur ein kühler Wind ließ etwas von der ungewohnten Höhe erahnen. Die Zigarette schmeckte etwas eigenartig aromalos in der dünnen Luft. Einer der Grenzoffiziere hatte sich einen schmerzhaften Sonnenbrand auf der Nase geholt. Thomas Michel, immer gerüstet für alle Fälle des Lebens, konnte mit einer Salbe aushelfen und machte sich selbst an diesem abgelegenen Ort einen Namen als deutscher Samariter. Die Abfahrt nach Pakistan hinein war steil und kurvenreich. Unser Chauffeur zeigte einmal mehr, was ein wahrer Fahrkünstler ist. Haarscharf vorbei an steilsten Felswänden und mit einem Vorderrad über tiefsten Abgründen schaffte er es, uns innerhalb kürzester Zeit auf 2 700 m Höhe nach Sust, dem pakistanischen Grenzort, absinken zu lassen. Dort war für unseren chinesischen Fahrer und unseren uigurischen Reiseleiter Endstation. Wir wurden von einem pakistanischen Team übernommen, nachdem die Einreiseformalitäten erledigt waren. Die gingen schnell und problemlos in einem Open-Air-Büro vonstatten. Ein Blick in die Pässe und die Visa, ein Stempel, das war alles. Die befürchteten Alkoholkontrollen im Gepäck bei der Einreise in ein islamisches Land blieben aus. Keiner interessierte sich für unsere Koffer, die nach zahlreichen Warnungen allerdings auch "sauber" waren.
Auf wesentlich größeres Interesse stieß ein antikes Amulett mit kaum noch lesbaren Koraninschriften, das Christine Hömske als Halsschmuck trug und das aus dem Fundus von Udo Schneider, branchenbekannter Spezialist für alten orientalischen Schmuck, stammt. Die kleine Silbertafel ging von Hand zu Hand.
Die Festung Baltit oberhalb von Karimabad ist das Wahrzeichen von Hunza. Der tibetische Einfluss in der Architektur ist unverkennbar. Noch bis 1960 wurde die Festung vom Thum (König) von Hunza bewohnt.
In Sust war es wieder einmal Zeit, die Uhren zu stellen. Nachdem, wie berichtet, in ganz China Peking-Zeit als offizielle Zeiteinheit gilt, wobei jede Region ihre eigene Zeit lebt, konnten in Sust ganz offiziell die Uhren wieder um drei Stunden zurück gestellt werden. Damit waren wir wieder in der Zeit unserer Reiseplanung, auch wenn wir auf die vorgesehene Ortsbesichtigung verzichten mussten. Immerhin hatten wir noch genug Zeit, um ein ausgiebiges Mittagessen einzunehmen, das schon einige Zeit auf uns gewartet hatte und uns mit unseren neuen Reisebegleitern bekannt zu machen. Diesmal standen uns gleich zwei geländegängige Jeeps mit orientalischen Fahrkünstlern zur Verfügung und ein Reiseleiter, der alle Facetten seines Landes kannte. Alle bemühten sich, die Botschaften in einer heute kaum noch gebräuchlichen Schreibweise zu entziffern. Das Stück löste allgemein Bewunderung aus und bescherte uns einen überaus freundlichen und gelösten Empfang.
In Karimabad scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Die noch nicht allzu zahlreichen Touristen finden hier noch landestypische Artikel, die nicht aus industrieller Massenproduktion stammen.
Die Strecke von Sust nach Hunza auf dem Kharakorum Highway gehört wohl zu den wild-romantischsten Teilstücken dieser Straße. Enge Schluchten, steile Abstürze, Wasserbäche, die sich über die Straße ergießen, steil aufragende Felswände machten die Fahrt zum Abenteuererlebnis. Der Highway ist hier kaum problemlos zu befahren. Immer wieder poltern Steinschläge auf die Trasse oder Wassermassen reißen Teilstücke einfach weg. Wir hatten Glück und kamen schnell und problemlos nach Hunza durch.
Hunza ist ein kleines Königreich im Norden Pakistans an der Grenze zu China. Es war nie ganz selbständig, sondern immer irgendwelchen Großmächten unterstellt. Einmal waren die Chinesen die Oberherren, dann kamen die Briten, die den König unter ihrer Vorherrschaft an der Macht ließen. 1947 kam Hunza mit der pakistanischen Unabhängigkeit zu Pakistan. Den König von Hunza aber gibt es immer noch, auch wenn sich sein Einfluss auf repräsentative Aktivitäten beschränkt. Geistliches Oberhaupt von Hunza ist der Aga Khan. Hunza , in 2400 m Höhe gelegen, ist wegen seiner Naturschönheit touristisch gut erschlossen. Auch gibt es hier noch 7000ender, die bisher nicht bezwungen worden sind.
Manchmal reißend, manchmal fast stehend frisst sich der Fluss, der ständig seinen Namen wechselt und irgendwann in den Indus mündet, durch die Gebirgskette. Auf der einen Seite wird er begleitet vom Kharakorum Highway mit unendlich vielen Grabstätten verunglückter chinesischer und pakistanischer Soldaten als Straßenbauer. Die andere Flussseite säumt am Ufer die Seidenstraße und darüber eine Militärstraße der britischen Kolonialherren.
Wir stiegen im Hunza Baltit Inn ab, einem Hotel mit einem herrlichen Ausblick auf das Hunza Tal und die sich darüber erhebenden schneebedeckten Gebirgsriesen des Kharakorum. In einem gerade oberhalb des Hunza Baltit Inn fertig gestellten internationalem Luxushotel versuchten wir nach einem anstrengenden Reisetag die Alkohol-Toleranz des Islam zu testen, zumal, wie wir erfahren hatten, der Geburtstag von Thomas Michel, bevor stand.. Ohne Umstände, aber mit nicht gerade freundlichen Blicken des Barkeepers erhielten wir an der Hotelbar die bestellten drei Dosen Bier, sehr magenfreundlich warm und pro Dose 10 US-Dollar teuer. Wir beschlossen, künftig bei einheimischen Getränken zu bleiben und die Geburtstagsfeier auf den nächsten Tag zu vertagen.
Dieser nächste Tag war ganz Hunza, seiner Landschaft, den Menschen und der Kultur gewidmet. Unsere beiden Jeeps brachten uns auf kaum befahrbaren Wegen in abgelegene Seitentäler von Hunza. Bus-Touristen als Pauschalreisende, die es in Hunza sowohl aus Europa und speziell aus Deutschland als auch aus asiatischen Ländern wie Indien auch schon gibt, hatten keine Chance, mit ihren klimatisierten Reisebusen hierher vorzustoßen. Die Sonne brannte vom Himmel und wir lernten in den offenen Gefährten, Staub zu schlucken. Wir erlebten einen 7 km langen abgeschmolzenen Gletscher, der einst zu einem der zahlreichen 7000ender gehörte. Der Blick von oben auf diese langgestreckte Zunge war atemberaubend, während unten Wanderer, klein wie Ameisen, ihren Weg suchten. Es war kaum vorstellbar, wie sich das Eis einst seine tief gelegene Bahn durch den Fels geschnitten hatte.
Später kam wieder die Stunde von Thomas Michel als Teppichkaufmann. Wir fuhren nach Karimlabad, einem kleinen an einer steil ansteigenden Straße gelegenen Ort, der sich als Hauptstadt von Hunza sieht. Dort war uns ein Teppichhändler empfohlen worden, der sogar schon auf der Domotex in Hannover ausgestellt hat. Sein Teppichangebot mit neuer und alter Ware richtete sich vorwiegend an die Touristen und bot eine bunte Teppichmischung aus nahezu ganz Asien.
Einer der spektakulärsten Punkte auf dem Globus: Von der Plattform aus haben die wenigen Touristen drei der wichtigsten Hochgebirge dieser Erde im Blickfeld: das Kharakorum Gebirge, den Hindukusch und den Himalaya.
Auffallend waren die wenigen Hunza-Teppiche, meist mit Kasak-Mustern, aber in kräftigen, leuchtenden Farben. Die Teppiche werden aus einheimischer Wolle oder in Mischungen mit Neuseeland-Wolle hergestellt. Wie wir erfuhren, gibt es in Karimlabad ein Schweizer Hilfsprojekt, das die einheimische Teppich-Produktion wieder verstärkt ankurbeln und alte Traditionen erhalten soll.
Das Schwergewicht bei unserem Teppichhändler bildeten allerdings Belutschen und Soumakhs in zum Teil abenteuerlichen Kombinationen der verschiedenen Web-, Knüpf- und Sticktechnike Die meisten Teppiche waren sehr farbkräftig und nur wenige Stücke für den deutschen Markt zum Verkauf geeignet. Diese wenigen Teile waren nach Meinung von Thomas Michel auch nach zähen Verhandlungen total überteuert, so dass hier kein Einkauf zustande kam. Dafür war es aber ein Erlebnis, Teppiche einmal nicht in einem verstaubten Lager zu sehen, sondern in strahlendem Sonnenschein und in klarer Bergluft vor der Kulisse eines schneebedeckten Hochgebirges. Unser Weg führte uns weiter die steile Dorfstraße empor durch zahlreiche Torbögen, die die Häuser rechts und links der Gasse gegeneinander abstützten. Der gepflasterte Weg wurde immer steiler und verwinkelter, bis wir den Fuß der Festung Baltit, dem ehemaligen Sitz des Königs von Hunza, erreichten. Wir waren nicht erstaunt, als uns unser Reiseführer erklärte, dass diese Festung niemals erobert worden sei. Keiner, der diesen Anstieg überstanden hat, dürfte noch in der Lage sein zu kämpfen. Die Festung erinnert in ihrer Architektur stark an das tibetische Potala und der Überlieferung nach soll vor rund 400 Jahren eine tibetische Prinzessin den damaligen Thum (König) von Hunza geheiratet haben. Als Mitgift soll sie eine Gruppe tibetischer Handwerker aus dem Himalaya in den Kharakorum mitgebracht haben. Die Festung Baltit wurde noch bis 1960 vom König von Hunza bewohnt, der jetzt in einer neu erbauten Villa in Karimlabad lebt. Heute sind seine gut restaurierten Räumlichkeiten in Baltit Ziel der noch nicht übermäßig großen Touristenscharen. Wir vier deutschen Touristen hatten die Festung fast für uns allein und konnten von der hoch gelegenen Terrasse fast das ganze Königreich überblicken, so wie der Thum es sicher auch getan und den Ausblick genossen haben wird. Allerdings wurde uns etwas mulmig, als wir die Terrasse von unten sahen: weit heraus ragend aus der Festung und auf steilen Fels nur durch dünne Holzstämme abgestützt. Zu Fuß marschierten wir durch Karimlabad in Richtung Hotel, machten Stopp an einer Militärstation als einziger Möglichkeit, mit dem fernen Deutschland zu telefonieren. Handys funktionieren hier ebenso wenig wie das zivile Telefonnetz. Der steile Abstieg durch das Dorf ließ uns etliche Souvenierläden passieren, in denen vor allem bearbeitete Halbedelsteine aus dem Kharakorum, aber auch Silberschmuck und hochwertige Stoffe angeboten werden. Hunza ist berühmt für seine handgewebten Chogas, weite Umhänge, die von Männern getragen werden und für seine feinen Wollschals, die zeitweise in Europa sogar der edlen Ware aus Kashmir, das enge Verbindungen zu Hunza unterhält, vorgezogen wurden.
In einem kleinen Lebensmittelladen stießen wir auf einige wenige Dosen alkoholfreien Bieres der Dortmunder Aktienbrauerei, die wir zu einem Prost auf den Geburtstag von Thomas Michel nutzten. Der Ladeninhaber versprach uns, bis zum Abend für ebenfalls gut gekühlten Nachschub zu sorgen und hielt Wort, so dass doch noch eine kleine alkoholfreie Geburtstagsfeier zu akzeptablen Preisen stattfinden konnte. Ungern nahmen wir früh am nächsten Morgen Abschied von der herrlichen Gegend und den freundlichen Menschen, deren Vorfahren einst als Wegelagerer die Karawanen auf der alten Seidenstraße ausgeraubt und deren Herrscher sich als Sklavenhändler einen nicht gerade guten Ruf geschaffen hatten. Unser nächstes Ziel war Gilgit, Sitz der Regionalverwaltung der Nordwest-Provinz von Pakistan und seit Hunderten von Jahren blühender Handelsplatz, erst durch die Seidenstraße, dann als Umschlagstelle britischer Militärgüter und heute durch den Kharakorum Highway. Die Straße führt immer oberhalb des meist wilden Flusses entlang, der ständig seinen Namen wechselt. In Hunza heißt er Hunza, im nächsten Ort nimmt er dessen Namen an und in Gilgit schließlich heißt er Gilgit.
Autos, Esel- und Pferdekarren, Menschen und Vieh müssen sich über die gefährlich schwankende Hängebrücke zwängen, wenn sie über den Fluss von einem Teil der Stadt Gilgit in den nächsten Stadtteil gelangen wollen.
Der Kharakorum Highway ist hier gesäumt von Gräbern. Hier liegen chinesische und pakistanische Soldaten, die für den Straßenbau eingesetzt waren, nebeneinander. Steinschläge, Sprengungen, Wasserdurchbrüche forderten einen hohen Tribut. Der Kharakorum Highway war ursprünglich eine reine Militärstraße, die erst vor wenigen Jahren für den Zivilverkehr frei gegeben wurde. Auf der anderen Seite des Flusses fast in Uferhöhe verläuft die alte Seidenstraße, einige Etagen darüber eine Militärstraße der britischen Kolonialmacht, die gleichzeitig mit und für den Vormarsch der Kolonialherren erbaut wurde. Sie wird heute noch von Schäfern mit ihren Herden und bisweilen sogar von einigen besonders mutigen LKW-Fahrern auf kurzen Abschnitten genutzt.
Nachdem wir die Strecke zwischen Hunza und Gilgit durch eine wildromantische Landschaft, immer wieder von schneebedeckten Gebirgsriesen gesäumt, in einem Kleinbus etwas holprig, aber doch noch mit heilen Knochen überstanden hatten, erwarteten uns in der Handelsmetropole in einem Luxushotel mit durchaus westlichem Zuschnitt, mit gepflegtem Ambiente und natürlich einigen Teppichgeschäften wieder einmal zwei sehr geländegängige Jeeps, die uns über steile Bergpfade zum berühmten Buddha von Gilgit brachten. Staub und knochenbrecherische Wegstrecken waren wir von Hunza gewohnt, mussten jetzt aber erfahren, dass es in Gilgit noch eine Steigerung gibt. Die Außentemperaturen waren auf über 40 Grad Celsius angestiegen und die Kräfte reichten kaum aus, um sich irgendwo im Jeep fest zu klammern, um nicht heraus geschleudert zu werden. Die Mühen belohnte der Weg zum Buddha: Auf einem schmalen Pfad durch dichtes Grün entlang an einem rauschenden Gebirgsbach ging es zu einer glatten Felswand, in die wohl im 8. Jahrhundert eine über 3 m hohe Buddha-Statue eingemeißelt worden ist. Sie soll tibetischen Ursprungs sein und dokumentiert die lange und auch vom heutigen Pakistan gepflegte Geschichte des Buddhismus in diesem Land. Überall am Kharakorum Highway begegneten uns zwar nicht so imposante, aber doch mit viel Liebe und großem Aufwand unterhaltene Zeugnisse der Vergangenheit. Nach nur kurzem Aufenthalt in dieser herrlich grünen Natur versuchten wir die Rückfahrt nach Gilgit. Doch in der Zwischenzeit war ein Steinschlag nieder gegangen und unser Fahrer und unser Reiseleiter hatten erst einmal erheblich Mühen auf sich zu nehmen, um die Straße wieder von den Felsbrocken zu räumen. Wir waren froh, die richtigen Fahrzeiten vor und nach dem Steinschlag erwischt zu haben. Gilgit selbst entpuppte sich als äußerst lebendige Stadt. Trotz der Hitze herrschte reges Treiben. Die nicht überschaubare Zahl an Geschäften und Buden ging im Warenüberfluss unter. Bedenklich war nur die Hängebrücke, die über die Gilgit führt und die einzige Verbindung zwischen den beiden Stadtteilen von Gilgit rechts und links des Flusses darstellt. Sie schwankte bedenklich unter dem Ansturm an Menschen, Mopeds, Vieh, Pkw und sogar kleinen Lkw. Weiter ging die Fahrt entlang des Flusses durch die immer wieder anders anmutende Gebirgslandschaft, die jetzt flacher geworden war. Die hohen Gipfel rückten in weitere Ferne. Plötzlich an einem Punkt in der Landschaft überrascht ein Obelisk. Von hier kann der ungläubige Besucher drei der größten Hochgebirge der Erde mit einem Rundblick erfassen. Himalaya, Kharakorum und Hindukusch taten sich gleichzeitig vor uns auf, Gebirge, deren Dimensionen die europäischen Alpen wie einen kleinen Steinhaufen wirken lassen. Tief beeindruckt fuhren wir durch eine märchenhafte Flusslandschaft weiter nach Chilas, der letzten Station dieser Tagestour. Dort überraschte uns das Hotel Shangrila Indus View, eine neu erbaute, aber total im Landesstil gehaltene Anlage: Wuchtige, handgeschnitzte Holztüren mit riesigen Schlössern als Eingang zu jedem Appartement., darin gemauerte Sitzgelegenheiten. Gigantische Deckenventilatoren sorgen für Frischluft. Die Grenze der Anlage bildet ein steiler Abhang. An seinem Fuß fließt der von oben gemächlich wirkende, aber hier in Wirklichkeit reißende Indus, mit 3.200 km der längste Fluss Asiens, heiliger Fluss und Lebensquelle für Millionen von Menschen.
Hans-Jürgen Hömske