Interview mit Hans und Thomas Michel

Tobias Mahlow, Wiesbadener Redakteur, im Gespräch mit Hans Michel, dem Sohn des Geschäftsgründers Kalil Michel, und Thomas Michel, der heute das Geschäft auf der Wilhelmstrasse leitet.

Gründungsurkunde
Thomas Michel mit Grossonkel Hans Michel (93 Jahre).

Tobias Mahlow: Wie kam Ihre Familie auf die Idee, ausgerechnet nach Wiesbaden zu gehen?

Hans Michel: Das haben wir im Grunde Kaiser Wilhelm II. zu verdanken, der 1898 auf seiner Orientreise den Ausbau der Handelsbeziehungen anregte. Dabei wurde auch Wiesbaden erwähnt – damals ein wichtiger europäischer Treffpunkt mit einem anspruchsvollen Publikum. Am 1. April 1899 eröffneten wir dann auf der Wilhelmstrasse unser erstes Geschäft. Zu dieser Zeit wurde der Orientteppich in Deutschland sehr populär und wir profitierten von unseren guten Direktkontakten in den führenden Knüpfgebieten.

Tobias Mahlow: Wie kommen heute die Teppiche zu Ihnen nach Wiesbaden?

Thomas Michel: Mein Bruder und ich haben die Familientradition beibehalten, unternehmen mehrmals im Jahr ausgedehnte Expeditionen und kaufen direkt in kleinen Manufakturen, auf Basaren und von Privatleuten, wo man noch schöne Stücke entdecken kann.

Tobias Mahlow: Also keine Vorbestellungen?

Thomas Michel: Richtig. Wir suchen originär gefertigte Stücke, geknüpft von ausgebildeten Leuten, die mit diesem künstlerischen Handwerk aufgewachsen sind. Kostbare Zufallsfunde sind da nicht selten. Früher konnte man noch bei den Importeuren kaufen, doch die haben sich mittlerweile ganz auf Massenproduktionen konzentriert.

Tobias Mahlow: Welche Bedeutung hat solch ein Teppich für die Menschen heute?

Thomas Michel: Der Teppich heute ist ein Einrichtungsgegenstand, der sich in die Wohnform einpassen soll, gleich, ob es ein alter, neuer oder antiker Teppich ist. Er soll sich ziemlich genau in die Farbwelt einfügen, die der Kunde in seinen eigenen vier Wänden geschaffen hat. Er kommt zu uns mit der Skizze des Raumes, einer Farbprobe der Vorhänge oder Möbel und einer Maßangabe. Wir arbeiten dann wie ein Dekorateur, immer die Gesamtharmonie im Blick.

Tobias Mahlow: War das vor 70 Jahren anders?

Hans Michel: Völlig. Ob der Teppich in den Raum passte, war nicht von zentraler Bedeutung. Es war viel wichtiger, einen Teppich gehabt zu haben; das Angebot war damals viel geringer, die Stücke stellten eine große Kostbarkeit dar.

Tobias Mahlow: Wie sieht der Teppichmarkt heute aus?

Thomas Michel: Heute ist das Angebot wesentlich größer, die Teppiche kommen nicht mehr nur aus den Knüpfgebieten mit gewachsenen Produktionsstrukturen. Auftragsarbeiten dominieren den Markt. Der Kunde ist König und verlangt von uns, sich den Wohntrends anzupassen. Ist beispielsweise eine bestimmte Farbe in der Inneneinrichtung dominierend, werden dazu passende Stücke stärker nachgefragt.

Tobias Mahlow: Und damals, vor 50, 70 Jahren?

Hans Michel: Diese Überlegungen gab es zu dieser Zeit überhaupt nicht. Die Leute waren froh, wenn sie einen Teppich bekommen konnten. Die Qual der Wahl war ihnen völlig fremd.

Tobias Mahlow: Was ist charakteristisch für das Angebot von Teppich Michel heute?

Thomas Michel: Der Markt ist heute getrennt: auf der einen Seite gibt es die in Massen produzierte Konsumware – davon distanzieren wir uns ganz klar. Wir handeln in der Nische hochwertiger Qualitätsprodukte; besonders bekannt sind wir für unser Sortiment an Klassikern, aber auch an Künstlerteppichen. Wir versuchen, den Neukunden, dem wir ein günstiges Preis-Leistungsverhältnis auf mittlerem und hohem Niveau offerieren, für die Geschichte der Teppiche zu sensibilisieren. Teppiche, die nur nach Anfrage oder nach Vorgaben produziert werden, sind in meinen Augen problematisch, denn die Herstellung ist eigentlich die Aufgabe eines Künstlers, der schon früh ausgebildet wurde und ein Gefühl für das Knüpfen entwickelt hat. Und das kann man nicht einfach kopieren. Leider reduziert die Auftragsproduktion alles auf den Aspekt des Handwerklichen, doch erst Handwerk und Kunst zusammen ergeben einen Teppich, der eine Seele hat.

Tobias Mahlow: Wie haben sich in Hinblick auf die Knüpfkunst die Verhältnisse in Vorder- und Kleinasien geändert?

Thomas Michel: Nach wie vor findet man in diesen Regionen Leute, die gut ausgebildet sind und eigenverantwortlich arbeiten. Doch leider hat der Export dazu geführt, dass die Eigenständigkeit zunehmend verloren geht. Auch politische Maßnahmen, z.B. die Zwangsansiedlung von Nomaden, haben auf die Tradition der Knüpfkunst negative Auswirkungen gehabt.

Tobias Mahlow: Vor kurzem stellten Sie einen neuen, von Ihnen initiierten Künstlerteppich vor.

Thomas Michel: Wir haben die Wiesbadener Künstlerin Kerstin Jeckel um einen Entwurf gebeten, dessen Realisierung sehr gelungen ist, weil er das wiedergibt, was die Künstlerin auch in ihren Bildern zeigt. Wir fanden glücklicherweise in Nepal sehr kreative Knüpfer, welche die Ideen der Künstlerin großartig umsetzten. So knüpften insgesamt drei Topteams acht Monate lang zehn Teppiche; die nummerierten und mit eingewebter Signatur versehenen Stücke sind fast alle verkauft. Diese Form der Zusammenarbeit ist uns ein wichtiges Anliegen, denn es entsteht dabei das, was wir verkaufen möchten: Kunst am Boden.

Kunst am Boden